Ursprung des Empowerment

Die ersten Aufenthalte in der psychiatrischen Klinik – was schadet und was hilft? 

oder

Vom Ursprung des Empowerment  [1]

In den siebziger Jahren war ich das erste Mal in einer - wie es damals noch hieß – Nervenklinik. Um zu erklären wo ich abgeblieben war, schrieb ich  an einen meiner Lehrer: “Ich bin in der Psychiatrie gelandet!“ Der Brief wurde vom Stationsarzt zensiert. Der Ausdruck „gelandet“ erregte Anstoß. - Dabei könnte man ihn doch positiv verstehen: Da kam einer auf den Boden, fand den Grund wieder.....wenngleich dieser Grund der Grund eines Verließes war. Mit Verließ ist nicht einmal die Klinik gemeint, sondern das vormals tragende Selbst in das ich eingebrochen war.
Nun liegst Du mit „zerschlagenen Gliedern“ auf dem Grund deiner Selbst. Verlassen – obwohl manche, Angehörige und Freunde, sich rührend um dich kümmern. Verlassen deshalb, weil Du selbst dich nicht mehr erreichst. Piet C. Kuiper drückt es so aus: “Die Isolierzelle einer psychiatrischen Einrichtung hat nichts Grausames. Nicht der Aufenthalt in einer solchen Zelle ist schrecklich, sondern die Tatsache, daß er notwendig ist. Die Dunkelheit herrscht im eigenen Innern.“[2]
Einige Wochen nach seiner erstmaligen Einlieferung in ein Psychiatrisches Landeskrankenhaus schreibt ein 19-jähriger Patient an seine Freundin: „Endlich bin ich fähig, ein Lebenszeichen von mir zu geben. Es ist das ein sehr schwaches Zeichen. Du wirst sicher auf irgendwelchen Umwegen von meinem trüben Schicksal erfahren haben. Und Du wirst schockiert gewesen sein. Meinen Nervenzusammenbruch empfinde ich ebenso als einen Absturz in die endlosen Tiefen menschlicher Existenz.“

Von dieser – immer noch schwach und nur beispielhaft ausgeleuchteten – Situation der erstmaligen Aufnahme in eine psychiatrische Klinik möchte ich ausgehen, wenn ich über „Empowerment in der psychiatrischen Arbeit“ nachdenke.- Zugegeben: „Empowerment“ ist nicht das Erste, was mir dabei einfällt. Der weitgehend elaborierter Begriff entzieht sich dem schlichten Verstehen, hat sich sogar zur Methode entwickelt und eine zusammengesetzte Bedeutung mit vielen Inhalten angenommen. Im Erstaufenthalt geht es hingegen um etwas ganz Einfaches. Um eine Entscheidung. Die Weichenstellung zwischen: 

1. Zeigt sich nochmals eine Zukunft? Läßt sich eine Lebensperspektive wiedergewinnen, die der verlorenen gleichkommt?

oder

2. Muß ich mit einer psychischen Querschnittslähmung rechnen?

Um mit (einem abgewandelten Zitat von) Romano Guardini zu sprechen, ist diese Frage viel zu ernst, um sie allein den Psychiatern zu überlassen. Wäre der Jugendliche Opfer eines Motorradunfalles, würde er fraglos jede nur erdenkliche medizinische und rehabilitative Hilfe erhalten, die diese Gesellschaft bereitzustellen in der Lage ist. Es gehört zu den bittersten Feststellungen, die wir als Psychiatrieerfahrene treffen müssen: für Erstbetroffene in der Psychiatrie wird nur ein Bruchteil jener Bemühungen aufgewendet wie für z. B. den verunglückten Motorradfahrer. Das gilt in finanzieller wie in personeller Hinsicht.
Selbst  wenn dieser Aufwand angeglichen würde, ist keineswegs garantiert, daß eine Genesung eingeleitet werden könnte. Muß man nicht die Befürchtung haben, mit dem gesteigerten Aufwand würde lediglich der Behandlungeifer in der bekannten Richtung perfektioniert werden?

Allererst müßte das seelische Unglück des Jugendlichen  g e s e h e n werden,
ein Schmerz der nicht schreit – gehört,
eine Wunde,die nicht blutet - erkannt
und eine Lähmung, die nicht im Rollstuhl sitzt, wahrgenommen werden.

Zugegeben: dieses mehrfache Nichts-von-Etwas zu „sehen“, ist schwer. Dennoch führt an diesem Sehen kein Weg vorbei. Im bloßen Diagnostizieren wird es am gründlichsten verfehlt, weil sich das Diagnostizieren nichts Individuelles zeigen läßt, lediglich Symptome zuordnet. Gefordert ist aber nicht jenes Sehen, das etwas hineinsieht, sondern das, welches sich etwas zeigen läßt, gerade nicht einordnet, nicht unter einen Oberbegriff stellt, sondern sein läßt und gelten läßt, ja zur Geltung bringt. Nur in einem Sehen dieser Art kann sich die Dimension einer psychotischen Erstkrise zeigen und sehen lassen – hervor ans Licht kommen.
Ich möchte hoffen, daß jemand, der „Empowerment“ unterstützen will, über die Notwendigkeit dieses Sehens mehr und mehr Klarheit gewinnt. Mit Diagnostizieren jedweder theoretischen Herkunft (auch der psychotherapeutischen) ist es nicht getan. Oder kann im Ernst jemand der Überzeugung sein, in dieser von Vielen ja ähnlich erlebten Situation des Erstaufenthaltes könnte es hilfreich sein, man würfe eine giftige Schlange in das dunkle Verließ „im eigenen Innern“? Was not tut, ist für´s Erste: Gesehen werden und das zu schätzen  was ich erlebt habe. Dann ist es möglich einer – der entscheidenden – Entscheidung Bahnung zu verschaffen, die allem Empowerment notwendig vorausliegt: Ich entscheide mich, der aufkeimenden Hoffnung und Zuversicht eine Chance zu geben. Ich scheue mich dieser „Keimlegung“ den Namen Empowerment (ein Wort in Lederkluft) zu geben und doch fängt wohl alles „empowern“ damit an. Es klingt nach verdammt wenig, was ein professioneller Therapeut, Arzt, Helfer hier beisteuert und ist dennoch das kostbarste was in dieser Zeit gegeben werden kann: Die Einräumung der Möglichkeit von Selbstgewinnung und in Eins damit die Ermöglichung von Zukunft. Alle schizophreniehaltigen Diagnosen konterkarieren die Möglichkeit von Zukunft, weil sie eine negative Prognose mit sich führen und im Betroffenen jene psychische Querschnittslähmung entfalten, die Empowerment kurz- und langfristig vereitelt. Es gilt aber, langsam und nach dem eigenen Maß, jede Faser seiner Identität zurück- und neuzugewinnen um das zu bewältigen was einem aufgegeben ist.  Dabei sind die Chimären der „bösen“ Prognose die schlechtesten Ratgeber, denn sie kleiden sich in einen Wahrheitsanspruch der ihren Verkündern nicht zusteht. Schließlich ist Zukunft unwissbar – offen. Selbst wenn in 90% aller Fälle.......
Neben dem - sagen wir einmal – vorschnellen Diagnostizieren gibt es einen zweiten Umstand, der ein Erwachen der Kraft (em-power) untergräbt: Die ausschließlich biologisch-chemische Konzeption von Heilung bei psychischen Erkrankungen. Um Mißverständnisse zu vermeiden, möchte ich an dieser Stelle festhalten, daß es mir nicht darum geht, die Leistung und Bedeutung pharmakologischer Interventionen kleinzureden oder gar zu bestreiten. Im Gegenteil. Sie haben aus meiner Sicht wesentlich dazu beigetragen, daß Betroffene einen größeren Handlungsspielraum gewinnen und mit einiger Erfahrung bei der Zuhilfenahme von Medikamenten ein erfolgreiches Selbstmanagement üben können.
Wogegen ich mich wende ist die Ausschließlichkeit. Dabei interessiert mich an diesem Punkt wieder nicht eine Entstehungstheorie von psychischer Krankheit oder Ähnliches, sondern die Behandlungserfahrung während des Erstaufenthaltes, weil dort jeder Anlauf zu einem Aufschwung – Empowerment – seinen Anstoß findet oder......im Sande verläuft.
Es entspricht psychiatrischer Kunst und ist zielführend, daher legitim und angemessen, auch bei einer Erstbehandlung Psychopharmaka in der gebotenen Vorsicht zum Einsatz zu bringen. Daß allerdings hiermit schon das Ende der psychiatrischen Kunst erreicht sein soll, ruft den Widerstand vieler Patienten hervor. Kein Mensch kann es hinnehmen, nur und ausschließlich als Stoffwechselstörung betrachtet zu werden[3]. Trotz Applikation von Medikamenten und entsprechender Symptomminderung, stellt sich das Gefühl (gut) behandelt zu werden nicht ein. Wenn nur mein Chemiehaushalt beeinflußt wird, darüberhinaus jedoch niemand über die existentiellen Probleme mit mir spricht, leidet die Arzt-Patient-Beziehung unter einem schwerwiegenden Mangel: Sie wird subjektiv garnicht als Behandlung erfahren. Im Verzicht auf eine personale Begegnung, d.h. im Verzicht auf die personalen Fähigkeiten des Psychiaters wird dem Patienten letztlich der Arzt vorenthalten und dieser beraubt sich widerum seiner Wirksamkeit als Seelenarzt (psych-iatros), die ja nicht in der Tablettengabe festgemacht werden kann. Subjektiv habe ich ein seelisches Leid, dem ein seelisches Äquivalent abhelfen muß – selbst wenn die Wirkung des Medikamentes nicht bestritten sondern anerkannt wird.
Im ausschließlich biologisch-chemischen Behandlungskonzept wird der Mensch zu tief angesetzt, d. h. erniedrigt und es ist nur logisch und spricht für die Gesundheit der Patienten, wenn sie sich wehren, d.h. eine Non-Compliance an den Tag legen. Solange die Arzt-Patient-Beziehung nur als Vehikel zur Erlangung von Behandlungsbereitschaft i. S. von Medikamenteneinnahme gilt, gehört diese Erniedrigung zum Wesen dieser Beziehungstruktur, d. h. sie erlangt keine Arbeitsfähigkeit und verbaut sich selbst jede Verhandlungbasis.
Den Gegensatz von Behandeln versus Verhandeln, wie er in den letzten Jahren aufgeworfen wurde, gilt es zu radikalisieren, d. h. tiefer zu verstehen, wenn er nicht nur ein pfiffiger Slogan bleiben soll. – Gerade in der erstmaligen Aufnahmesituation ist der Patient (noch) nicht als Verhandlungpartner etabliert, denn wäre er das, würde das bedeuten, er hätte eine gewisse – wenn auch begrenzte – Souveränität über seine Lebenslage im Ganzen, von der aus er „in Verhandlung treten“ kann. Dieser anzustrebende Umstand liegt, wenn es gut geht in einigen Jahren vor, nach dem dritten, vierten oder fünften Aufenthalt und sofern die Genese der Erkrankung eine gewisse Transparenz im Patienten erlangt hat, ihn im positiven Sinne zum „Erfahrenen“ gemacht hat. Beim Erstaufenthalt sieht man sich jedoch einer ungeheuren Komplexität von Problemen ausgesetzt, wie es der Einbruch und Einsturz von Identität eben mit sich bringt. Orientierungslosigkeit, Verzweiflung und Hilflosigkeit werden in der Regel die Befindlichkeit ausmachen. Dem Psychiater wird zugestanden und zugeschrieben, in dieser Lage Orientierung zu geben. Damit geraten wir mitten in ein heikles Problem: Die Vertrauensfrage. Der/die Betroffene ist genötigt, da ihm nichts anderes übrig bleibt, einem Menschen zu vertrauen, dessen Vertrauenswürdigkeit nicht im Ansatz erwiesen ist. Niklas Luhmann nennt dies treffend eine „riskante Vorleistung“.[4] In der Arzt-Patient-Beziehung wird der Vertrauensakt nicht extra geleistet, sondern ist bereits in die Arztrolle eingeschrieben. Der Arzt ist ein Vertrauenhabender. Sonst ist er kein Arzt. Vertrauen reduziert Komplexität (Luhmann) – gibt Orientierung. Die Frage ist, warum die spezifische Weise, wie in der heutigen Psychiatrie Orientierung gegeben wird, nicht zu einer Bestätigung und Festigung des Vertrauens in sie führt, sondern bei Vielen zum genauen Gegenteil. Interessanterweise ist die Kritik an der Arzt-Patient-Beziehung nicht neu, jedenfalls kein Produkt nur der neueren Generation von Psychiatrie-Erfahrenen. Der leider in Vergessenheit geratene John Custance hat in seinem 1954 auf Deutsch erschienenen Buch „Weisheit und Wahn“ aus dreißigjähriger Psychiatrieerfahrung den Schluß gezogen: „Die Beziehung zwischen Arzt und Patient ist einer der Hauptfaktoren bei der Heilung jeder Krankheit, und im Falle einer Geisteskrankheit ist sie vielleicht der überragende Faktor. Ich kann nur sagen, nach den berichteten Vorfällen (....) habe ich keinen weiteren Versuch gemacht, mich den Ärzten anzuvertrauen; ich habe sie mehr oder weniger als Feinde, jedenfalls aber eindeutig als „auf der anderen Seite“ angesehen.“[5]
Die ausschließlich biologisch-chemische Behandlungsstrategie, welche mit ärztlicher Autorität empfohlen, besser: dringend, ja ultimativ nahegelegt wird, läßt irgendwelche anderen Aktivitäten, die über die Medikamenteneinnahme hinausgehen würden als sinnlos erscheinen. Damit sind dem Patienten Bemühungen, die möglich wären, schon vor ihrer Entdeckung aus der Hand geschlagen und es geschieht das was unter allen Umständen vermieden werden muß: Der Patient wird im Wortsinne als Er-leidender, als Passiver gesehen und – was noch weit verhängnisvoller sein kann: Es besteht die Gefahr, daß er diese Sicht übernimmt. – Dabei kommt es auf´s genaue Gegenteil an: Ich bin überzeugt – und nicht wenige teilen mit mir diese Überzeugung – daß ein „Genesungsprozeß“ umso günstiger verlaufen kann, wenn ich mich prinzipiell als lernfähig definiere und die psychotische Architektur eines Umbaues für fähig oder mindestens für bewohnbar halte. Freilich darf man sich keinen Illusionen hingeben. Es handelt sich ja nicht um eine Gleichung mit nur zwei Unbekannten, die in 10 Minuten (oder einem klinikaufenthalt) zu lösen wäre. Die Unbekannten in dieser Gleichung sind zahlreich - die Lösungswege langwierig. Aber müssen wir nicht schon aus intellektueller Redlichkeit grundsätzlich von einer Lösbarkeit ausgehen und die theoretische Vorannahme der Unlösbarkeit fernhalten, sprich die psychische Querschnittslähmung als Prognose ausschließen? Ob sie eintrifft, muß das Leben entscheiden und nicht der Psychiater.
Neben der kunstfertigen Gabe von Medikamenten ist es vielleicht die wesentlichste Aufgabe aller psychiatrischen Therapie, jenes Erweckungsereignis zu begünstigen oder zu vermitteln das den Patienten zu „sich“ bringt, zu sich selbst erwachen läßt. „Es schläft“ eben nicht nur „ein Lied in allen Dingen“, sondern ebensogut „ein Gesundes in allem Leiden“, das tätig werden will – sofern es nur erwacht, zu sich kommt und aufsteht. Weniger metaphorisch gesprochen, lautet die Gretchenfrage des Empowerment: „Wie läßt sich Lernfähigkeit im Umgang mit sich und der Welt erlernen und – „lehren?“ Selbstredend ist „Lernen“ in diesem Kontext kein schulisches Einverleiben vorhandenen Stoffes, sondern eher vergleichbar mit dem kreativen, forschenden Vordringen in ein unbekanntes Gelände. Dabei geht es nicht ohne Zumutung, der Einzelne muß sich selbst etwas zumuten – und Zumutungen von Außen nicht nur kritisch prüfen, sondern auch zurückweisen, wenn es not tut. Wie läßt sich nun jene Lernfähigkeit vermitteln? Wahrscheinlich entzieht sie sich der currikularen Strategie. Die Basisfähigkeit des Therapeuten sollte aus meiner Sicht nichts anderes als „das Fragen“ sein. Fragen, wenn sie offengehalten und nicht sofort mit der nächstbesten Antwort zugestopft werden, sind geeignet, Interesse zu wecken und wachzuhalten. Das Offene einer Frage, d. h. wenn ausgehalten wird, Antworten fernzuhalten, bildet den offen-aufgespannten Raum, im dem sich freie Hypothesen einstellen können die auch konkret-praktisches Experimentieren ermöglichen. An manchen Psychiatrie-Betroffenen beobachte ich einen ausgeprägten Eigensinn, der es kaum erlaubt etwas anderes zu denken als das was immer schon gedacht wurde. Gelingt es bespielsweise in einer Selbsthilfegruppe die Bewältigungsweise eines Anderen mit Interesse, unvoreingenommen und ruhig anzuhören, vielleicht sogar probehalber als Möglichkeit für sich selbst zu betrachten? Da gibt es Defizite.
Nicht selten vermögen aber die Therapeuten gegen die Befangenheit der Betroffenen nur ihre eigene professionelle Selbstgewißheit ins Feld zu führen und werden damit erst recht nicht zur Erweiterung des „geistigen Einzugsgebietes“ beitragen. Wie, wenn erst im fragenden Suchen jener offene Raum entstünde, der ein Finden heilsamer Haltungen ermöglicht? Ist vielleicht der offene Raum selbst schon das Heilende?
In einem späteren Stadium, wenn sich die  Psychose entgegen alle Hoffnungen erneut einstellt, wieder breitmacht und ihre Tiefschläge und Beeinträchtigungen entfaltet...... spätestens dann gilt es den Forschungsauftrag anzunehmen, der einem gestellt ist. - Nur: Wie das Interesse an einem aktiven Reflektieren seiner Situation aufrechterhalten, wenn der gleiche psychotische Vorgang, wie es scheint, sich unverändert wiederholt? Eine arge Herausforderung an die Duldsamkeit und Motivation des oder der Betreffenden, gäbe es da nicht doch die kleinen Fortschritte, die es zu sehen gilt – mit Hilfe eines Therapeuten oder einer Therapeutin die danach fragen? Die nicht einstimmen in jene unbedachte Rede von der Drehtürpsychiatrie, was eine ausgesprochen depressive Interpretation von Wiederholung darstellt. Inzwischen verfügen wir doch über Erfahrungen, daß Wiederholungen eine Auslenkung nach Oben bekommen können. Die Wiederholung bleibt nur dann eine Wiederkehr des Selben, wenn aus den Erfahrungen kein Nutzen gezogen wird. Hierin liegt ein weites Feld für therapeutisches Geleit – für Ermutigen und Anerkennen, für sparsam gesetzten Rat wie für handfeste Unterstützung beim Lösen von Konflikten, für Zurückhaltung ebenso wie für ein beherztes und spontanes Helfen. Da jedes einzelne Geschehen in diesem therapeutischen Geleit Premierencharakter hat, läßt sich vom grünen Tisch der Empowermenttheorie aus kaum eine Empfehlung erteilen. Es bleibt der Umsicht und Erfahrung der Therapeuten anheimgestellt, ob, wie und in welchem Grad sie unterstützen. Das Wort von der „Hilfe zur Selbsthilfe“ ist auch hier richtig, klingt aber zu banal-mechanisch und hat die Wirkung eines Tranquilizers. Die Empowermentidee darf sich damit nicht ruhigstellen lassen, sondern muß stets von der Frage beunruhigen lassen was das denn für eine Hilfe ist, die zur Selbsthilfe verhilft.

 

Autor: Gottfried Wörishofer, Jg. 1953, Dipl.-Sozialpädagoge, zwischen 1972 und 1988 wiederholte Psychiatrieaufenthalte, langjährige Berufs- und Beratungspraxis. Mitbegründer der Münchner Psychiatrie-Erfahrenen (MüPE) e.V., arbeitet dort seit 1997 als festangestellter Selbsthilfe-Berater. Kontakt: MüPE e.V., Thalkirchner Str. 10, 80337 München, Tel. 089 / 260 230 25.

 

[1] Unter dem Titel „Sehen und Fragen. Vom Ursprung des Empowerment“ erscheint dieser Artikel im    Herbst 2000 in dem Buch „Selbstbefähigung fördern. Empowerment und psychiatrische Arbeit“ Hg. A. Knuf, U. Seibert, Psychiatrie-Verlag, Bonn
[2] Piet Kuiper, „Seelenfinsternis“, 1991, S. 99
[3] In dieser Phase. Es mag eine spätere Phase geben, in der gerade diese Auffassung ein Stück weiterhilft.
[4] Niklas Luhmann, „Vertrauen“ 1989, S. 45
[5] John Custance, „Weisheit und Wahn“, 1954, S. 277

Gottfried Wörishofer